Amerika | Afrika | Asien | Europa | Australien | Bedrohte Kindheiten | Publikationen | Projekte | Medien

Suche:   


Amerika

 

Indiokinder
(Text und Fotos: Hartwig Weber, Juli 2009)

Inhaltsverzeichnis
Indigene Gemeinschaften in Kolumbien
Zur Situation der Indiokinder
Blutige Gewalt der Guerillagruppen
Massaker der Paramilitärs
Drogenhandel
Krankheiten
Vertreibungen, kulturelle Brüche
Rechtslage
Missionierung, Erziehung, Ethnopädagogik
Organisationen
Links und Literatur

Indiomädchen 02

 Die indigene Bevölkerung Kolumbiens mit mehr als einer Million Personen teilt sich in circa 80 Ethnien auf, die 64 unterschiedliche Sprachen sprechen. Obgleich das kolumbianische Grundgesetz ihnen Autonomie garantiert, leiden die Indios unter der gewaltsamen Invasion von Kolonisten, Guerilleros, Paramilitärs und Drogenhändlern (Vertreibungen). Der Kontakt mit den Weißen hat den Ureinwohnern des Kontinents Desorientierung, Krankheiten und extreme Armut gebracht. Unter den Folgen der Exklusion und Hoffnungslosigkeit leiden insbesondere Kinder und Jugendliche.

Indigene Gemeinschaften in Kolumbien
In Kolumbien gibt es über 80 unterschiedliche ethnische Volksgemeinschaften. Die zahlenmäßig größten indigenen Gruppen bilden die Nasa, Senú und Embera. Die noch existierenden kolumbianischen Ureinwohner sprechen 64 Sprachen und gebrauchen etwa 300 Dialekte. Sie zählen heute über 1.378.800 Personen und machen damit 3,4 Prozent der Bevölkerung des Landes aus. Verteilt auf fast alle Landesgebiete, stellen sie die Mehrheit oder fast die Hälfte der Bevölkerung in einigen Departments, in Vaupés (66 Prozent), Guainía (65 Prozent), Guajira (45 Prozent), Vichada (44 Prozent) und Amazonia (43 Prozent). In der Guajira gibt es fast 300.000 Indios, in Cauca etwa 250.000.

Als die Europäer nach Südamerika kamen, lebten im Gebiet des heutigen Kolumbien wahrscheinlich etwa 3 Millionen Indios. Im Laufe der folgenden hundert Jahre wurde der sechste Teil der Ureinwohner ausgerottet. In der Mitte des 18. Jahrhunderts waren es noch 136.000, und erst im 20. Jahrhundert nahm ihre Zahl langsam wieder leicht zu. Im Urwald und in den Llanos Orientales gibt es nomadische Ethnien, die als Jäger und Sammler leben (zum Beispiel die Makú und die Cuiva); im Amazonasgebiet und im Pazifikurwald siedeln Halbnomaden, die fischen, jagen und sammeln, und in den anliegenden Zonen gibt es sesshafte Gruppen (wie die Tuneba, Kogis, Pastos oder Guambianos). Die Guajiros siedeln auf der Halbinsel gleichen Namens in Gebieten extremer Trockenheit. Über die Grenzen zwischen Kolumbien und Ecuador, Venezuela, Brasilien und Panama bewegen sich die Stämme der Aywa, Wayú, Tikuna und Tule, denen man eine doppelte Staatsbürgerschaft zuerkannt hat.

Indiomädchen 01

Viele indianische Gruppen sind in der Vergangenheit untergegangen, mit ihnen ihre Kulturen und Sprachen. Angesichts der blutigen Gewalt, der sie heute ausgesetzt sind, drohen insbesondere die kleinen Gemeinschaften des Amazonasgebietes spurlos zu verschwinden. Sie sind zwischen die Fronten der illegalen bewaffneten Gruppen der Guerilleros und Paramilitärs geraten. Den Wenigsten nützt, dass der Staat die ethnischen Minderheiten als kollektive Besitzer ihrer Territorien anerkannt hat und vorgibt, ihre Autonomie zu schützen. (Die Gebiete der Indios machen 31 Millionen Hektar aus, das ist ein Drittel des Staatsgebietes Kolumbiens.) Der Drogenhandel zerstört mehr und mehr ihre Lebensgrundlagen, und vom staatlichen Heer und der Polizei haben sie keine effektive Hilfe zu erwarten. Ganze Clans flüchten aus ihren angestammten Territorien. Jedes Jahr lassen sich 10.000 bis 20.000 Indios registrieren, die gewaltsam vertrieben worden sind. Die tatsächliche Zahl der indigenen Flüchtlinge liegt weit höher. Heute verdingen sich viele Indios im Kokaanbau oder in den Städten als Arbeiter, die Frauen
als Haushaltsgehilfinnen.


Zur Situation der Indiokinder
Der Begriff "Kindheit" wird in der westlichen Kultur auf der Grundlage einer Chronologie des Lebensalters definiert. Als Kinder gelten meist Minderjährige bis zum 7. oder 14. Lebensjahr. In indianischen Ethnien ist dies keineswegs immer der Fall. Bei den Wayú und Tikuna zum Beispiel wechselt ein Mädchen mit der ersten Menstruation von der Phase der Kindheit in diejenige des Erwachsenenalters. Menstruierende Mädchen gelten als heiratsfähige Frauen. Im Unterschied zu den Verhältnissen in der herrschenden Kultur der Weißen ist die Abstammung eines Kindes von einer bestimmten Mutter und einem Vater weniger bedeutsam als die Zugehörigkeit zu einem Clan, der das soziale Leben definiert. Ethnien wie die Embera (in Risaralda) oder die Paeces (in Cauca) praktizieren Klitorisbeschneidung. Die Übergänge von einer Lebensphase zur anderen werden mit Ritualen ("rites de passage") begleitet. Während der Menstruation ziehen sich Frauen und Mädchen in die Einsamkeit zurück, mitunter werden sie tagelang in dunkle Räume oder Hütten gesperrt (zum Beispiel bei den Ingas in Putumayo).

Indiomädchen 04

Yup-ka - Mädchen, 2008

In den traditionellen Indiogemeinschaften war es üblich, dass Kinder den Erwachsenen beim Arbeiten halfen und auf diese Weise die Kulturtechniken samt den notwendigen Kenntnissen und Fertigkeiten erwarben, die sie im Alltag - beim Fischen, Jagen, Säen und Ernten - brauchten. In der Folge des Kulturkontaktes mit den Weißen haben sich die Arbeitsformen verändert, mit negativen Folgen insbesondere für die Kinder. Wie ein Großteil der afroamerikanischen Bevölkerung, so leben auch die indigenen Gruppen Kolumbiens unter Bedingungen extremer Exklusion, Armut und rassistischer Diskriminierung. Die Kinder und Jugendlichen arbeiten heute häufig außerhalb ihrer Gemeinschaften. Sie verdingen sich im Kokaanbau, betätigen sich als Schmuggler, werden von der Guerilla oder paramilitärischen Gruppen angeworben (>Kindersoldaten), arbeiten in den Haushalten der Weißen, werden kriminell, verfallen der Prostitution.

Die negativen Folgen der herrschenden Verhältnisse sind besonders drastisch am Gesundheitszustand der Indiokinder abzulesen. Verbreitet sind Unter- und Fehlernährung. In manchen Gegenden mangelt es an sauberem Wasser und ausreichender Hygiene. Dabei kommt es zu gravierenden chronischen Erkrankungen. Entwicklungsstörungen und Behinderungen sind nicht selten. Die Kindersterblichkeit ist doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt, die Lebenserwartung vergleichsweise gering. Heute arbeiten viele Indiofrauen und -mädchen in den Städten, häufig diskriminiert und ausgebeutet. Im Chocó, in Vaupés, Caquetá, Puerto Carreño und Puerto Inírida arbeiten zahllose Indiomädchen als Prostituierte.

 Indiomädchen 03 

 Blutige Gewalt der Guerillagruppen
Indigene Kinder in Kolumbien wachsen heute inmitten von Krieg und Gewalt, Ausbeutung und Armut, Krankheit und Perspektivlosigkeit auf. In den blutigen Konflikten geht es darum, die Kontrolle über die Territorien der Indios zu gewinnen. Guerillagruppen bekämpfen sich bisweilen gegenseitig und werden von Paramilitärs attackiert. Das staatliche Militär kooperiert mit den "Paras". Alle illegalen Gruppen und selbst Angehörige des Heeres sind in den Drogenhandel verstrickt. Der Kampf um die Vorherrschaft hat die Indioterritorien in äußerst gefährliche Kriegsgebiete verwandelt. So gut wie alle ethnischen Gruppen des Landes sind von der blutigen Gewalt tangiert. Die Territorien der Indios sind für die illegalen Gruppen von höchstem militär- und wirtschaftsstrategischem Wert. Sie bieten ausreichend Rückzugsmöglichkeiten. Im Schutz des Urwaldes sind Wege angelegt, über die Waffen, Drogen und Schmuggelwaren aller Art befördert werden können. Der Drogenanbau expandiert im ganzen Land, insbesondere in den Indiogebieten. Mit Koka und Heroin finanzieren sich alle bewaffneten Gruppen. Trotz staatlicher Bekämpfung wächst die Kokaproduktion und führt inzwischen zur Einrichtung regelrechter Koka-Latifundien ("narcolatifundismo"). In dessen Folge ist es zu einer enormen Wertsteigerung des Bodens gekommen. Überdies liegen die Territorien der Indios oft in der Nähe von Zonen, wo die Ansiedlung multinationaler Konzerne und staatlicher Großprojekte zu Investition und Kumulation enormer Kapitalien führt.

Seit jeher haben die kolumbianischen Guerillagruppen in den Indioterritorien operiert. Die lange Besetzungszeit führte naturgemäß zu freiwilliger oder unfreiwilliger Interaktion und Kommunikation zwischen Indios und Besatzern mit der Folge, dass die Paramilitärs, wenn sie die Guerilla vertrieben haben, alle Indios als Helfershelfer der linken Subversion ansehen. Tatsächlich sind zahlreiche Indios in den Reihen der Guerilla zu finden, viele von ihnen schließen sich indes - teils freiwillig, teils gezwungen - den Paramilitärs an. Im Unterschied zu Indios werden die Angehörigen der afrokolumbianischen Bevölkerungsgruppe von den Guerilleros als Sympathisanten der Paramilitärs denunziert und verfolgt. Auf längere Sicht fallen beide Seiten (Schwarze wie Indios) früher oder später einem der Aggressoren zum Opfer. Im Laufe der zurückliegenden Jahre wurden unzählige indigene Führer entführt und mit dem Vorwurf ermordet, sie führten ihre Volksgruppen in den Widerstand gegen das Wohl des kolumbianischen Volkes.

Die Gewalt, der die indigenen Gemeinschaften ausgesetzt sind, geht abwechselnd oder gleichzeitig von den Guerilleros der FARC und des ELN, von Paramilitärs, Kriminellen ("delincuencia común"), den Drogenhändlern oder dem staatlichen Militär aus. Im Kampf um die Vorherrschaft werden die denkbar grausamsten Verbrechen verübt: Massaker an Männern, Frauen und Kindern, Zerstörung von Häusern und Feldern, von öffentlichen Gebäuden und Kirchen. Wehrlose Bauern werden bombardiert, Elektrizitäts- und Wasserwerke zerstört, Vergewaltigungen verübt, Kinder entführt. Nach erfolgten Gewaltverbrechen unter der Zivilbevölkerung ist es mitunter unmöglich festzustellen, wer die Verantwortlichen waren, da sich Guerilleros als Paramilitärs und Paramilitärs als Guerilleros verkleiden.

Ursprünglich war die Guerilla mit einer politischen Botschaft in die Territorien der Indios eingedrungen und hatte soziale Gerechtigkeit und nationale Befreiung in Aussicht gestellt. Die FARC proklamierten die Errichtung eines alternativen, gerechten Staates. Aber angesichts ihrer ideologischen Orientierung am Kampf der Klassen kam den Guerillakämpfern der ethnologische Gesichtspunkt rasch aus dem Blick. In der Sierra Nevada de Santa Marta im Norden Kolumbiens kämpfen heute 40.000 Indios verschiedener Ethnien (Wiwas, Kogis, Kankuamos, Arhuacos) gegen bewaffnete Banden jeglicher Couleur und versuchen zu verhindern, dass sie aus ihrem angestammten Territorium vertrieben werden. Staatliches Heer und Polizei sind weder willens noch in der Lage, die Sicherheit und das Recht der Indios zu gewährleisten.  

Massaker der Paramilitärs
Paramilitärische Gruppen, die gegen die Guerilleros von FARC und ELN um die Kontrolle über die Territorien der Indios und die Bodenschätze kämpfen, können heute mit der politischen Unterstützung eines Teils der herrschenden Klasse Kolumbiens rechnen. Das staatliche Heer und die "Paras" arbeiten mitunter Hand in Hand. Wenn paramilitärische Gruppen Überfälle ankündigen, denkt das Heer nicht daran, einzuschreiten. Mit Massakern und Folter terrorisieren Paramilitärs die Zivilbevölkerung. Sie entführen und ermorden bevorzugt Personen von politischer und wirtschaftlicher Bedeutung, vor allem indigene Führer.

Multinationale Unternehmen, die es auf indianisches Gebiet abgesehen haben, lassen sich und ihre Investitionen durch Polizei, Heer, private Sicherheitskräfte, Paramilitärs oder Kriminelle schützen. Auf der Suche nach Erdöl, beim Erschließen ergiebiger Minen oder der Anlage gigantischer Plantagen dringen sie in die Siedlungsgebiete der Indios vor, in die Urwälder an Amazonas und Pazifik und in die Llanos Orientales. Trotz der terroristischen und menschenverachtenden Übergriffe haben Vertreter der Indios immer wieder versucht, mit der Guerilla und paramilitärischen Gruppen Gespräche zu führen, ohne Erfolg.

Drogenhandel
Anknüpfend an die Tradition der indigenen Bevölkerung, Koka zu konsumieren, griff der Drogenanbau in den abgelegenen Territorien der Urwälder, der Llanos und Hochgebirge um sich. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts begann der Anbau von Marihuana. In den 80er Jahren folgte Koka. Seit den 90er Jahren expandierte die Herstellung von Heroin in den neblig kalten Höhen des Páramo (Kordilleren), dem andinen Siedlungsgebiet der Hochlandindios. Fast alle Gebiete der Indios eignen sich hervorragend für den Anbau von Drogen; sie sind schwer zugänglich, liegen versteckt, und es gibt keine oder nur geringe staatliche Präsenz. Die Situation extremer Armut hat die Ausbreitung des Drogenanbaus gefördert. Mit den Drogen kamen die Kolonisten (colonos) ins Land, ihnen folgten die Produzenten von Koka und Heroin. Um Anbaufläche zu schaffen, wird Urwald abgeholzt. Angesichts der Gewalt und sozialen Zerrüttung zerbrechen viele Familien. Die jungen Männer verlassen ihre Gemeinschaften. Sie verwahrlosen oder schließen sich den bewaffneten Gruppen und Kriminellen an. Mädchen verfallen der Prostitution. Der grassierenden Kriminalität und alltäglichen Gewalt fällt die kulturelle Identität zum Opfer.

Nach den Drogenhändlern und Kriminellen stellten sich die Guerilleros und Angehörige paramilitärischer Gruppen ein. Sie suchten nach Reichtum und der Möglichkeit, ihren Kampf aus dem Handel mit Rauschgift zu finanzieren. Schließlich folgten die Soldaten, die die Kokafelder mit Gift besprühen, die Antidrogenpolizei, das Heer - Maßnahmen im Zusammenhang mit dem von den USA finanzierten "Plan Kolumbien" ("Plan Colombia"). Die jungen Männer, die Massaker, Überfälle, Entführungen und Vertreibungen überstanden hatten, flohen in die Städte und verdingten sich als billige Arbeiter, als Erntehelfer, oder sie traten der Guerilla oder den "Paras" bei. So ist es bis heute geblieben. Die Frauen bleiben alleine zurück, und zahllose Kinder wachsen ohne Väter auf. Die Mütter müssen irgendwo Arbeit finden; währenddessen sorgen kleine Mädchen für ihre noch kleineren Geschwister und für die Alten.

Krankheiten
Gesundheit wie körperliches und seelisches Wohlbefinden hängen bei allen Menschen, zumal bei indigenen Völkern in starkem Maß, mit der kulturellen Identität und der Möglichkeit zusammen, innerhalb der angestammten Territorien gemäß den eigenen Traditionen und Überzeugungen leben zu können. Die von außen hereinbrechenden Konflikte und gewaltsamen Vertreibungen stören das seelische Gleichgewicht der Menschen und führen zu irreparablen psychosozialen Schäden. Nach der Flucht in die Städte entfremden sich viele Indios von ihrer Kultur, ihrer Religion und ihren Sprachen. Die Desorientierung geht mit körperlichen und seelischen Erkrankungen einher. Eine angemessene medizinische Versorgung finden sie weder zu Hause noch in den Städten. Indiokindern sind häufig unterernährt oder mangelernährt; endemische und infektiöse Krankheiten sind bei ihnen weit verbreitet. Die meisten Erkrankungen hängen mit der extremen Armut zusammen, unter der sie leiden. Die Kindersterblichkeit ist äußerst hoch, die Lebenserwartung niedrig.

Vertreibungen, kulturelle Brüche
In panischer Angst haben Angehörige der Gemeinschaften der Awa, Pasos, Quillacinga, Inga und Kofan an der Grenze zu Ecuador oder die Eperara-Siapidaara an der Pazifischen Küste ihre Heimat verlassen, um den Überfällen, Entführungen und Massakern der Paramilitärs und Guerilleros zu entgehen. Die Hälfte der Flüchtlinge im Departement Nariño sind Indios, die dort nur 8 Prozent der Bevölkerung stellen. Die Indio-Gemeinschaften in Arauca, Chocó, Guaviare und Vaupés beklagen die Brutalität und gewaltsamen Übergriffe des staatlichen Militärs. Zu den Zonen brutalster Gewalt zählt Urabá im Nordwesten Kolumbiens, von wo viele Indios wie auch die Angehörigen der afrokolumbianischen Bevölkerung geflohen sind. Die Flüchtlinge stranden in den großen Städten. Dort auf den Straßen sieht man immer mehr Indios, die durch Bettelei zu überleben versuchen. Manche verkaufen Heilkräuter und propagieren alternative medizinische Praktiken. Wenn irgend möglich, halten die Indioflüchtlinge untereinander Kontakt. Sie beginnen langsam, am sozialen und politischen Leben ihrer neuen Umgebung teilzunehmen. Sie passen sich an, so gut es geht, lernen Spanisch und gewöhnen sich an den herrschenden Lebensstil und die neue Bekleidung, die sie von den Weißen kaum mehr unterscheidbar macht. Andere ziehen sich zurück und pflegen ein abgeschiedenes Leben. Sie sprechen nur ihre Muttersprache, halten an ihren alten Gebräuchen fest und nehmen möglichst nur ihre traditionelle Nahrung zu sich. Ihre Mythen und geheimen medizinischen Praktiken stoßen im heutigen Kolumbien zusehends auf das Interesse von Jugendlichen und Intellektuellen.

Rechtslage
Die Invasion der Territorien der Indios und ihre Vertreibung stehen in eklatantem Widerspruch zur nationalen Gesetzgebung. Das kolumbianische Grundgesetz (Constitución Nacional) von 1991 gewährt den Indios und ihrem Lebensraum Autonomie. Es spricht vom Schutz der ethnischen Vielfalt und sichert ihrer Kultur Gleichwertigkeit zu. Ihre Sprachen gelten in ihren Territorien als offizielle Sprachen. Nach der Gesetzestheorie sollen Indiokinder von Staats wegen in den Genuss einer bilingualen, interkulturellen Erziehung kommen. Denjenigen Ethnien, die an den Landesgrenzen siedeln, wird eine doppelte Staatsbürgerschaft gewährt. Auch soll allen Indios die Möglichkeit eröffnet werden, sich aktiv am politischen Leben des Landes zu beteiligen. Tatsächlich haben Mitglieder der ethnischen Gruppen inzwischen einige Sitze im Kongress der Republik, in den Versammlungen der Departments und in Gemeinderäten errungen und Bürgermeisterposten besetzt. Dennoch schützen diese Fortschritte und die verbrieften Rechte nicht davor, die indigenen Minderheiten vor dem terroristischen Zugriff von Guerilleros, Paramilitärs und Drogenhändler zu schützen.

Missionierung, Erziehung, Ethnopädagogik
Im Einflussbereich der christlichen Kultur wurden die indigenen Minderheiten von Obrigkeiten und Kirche dazu gedrängt, ihre eigenen Religionen und kultischen Praktiken aufzugeben. In der Regel nahmen sie, zumindest oberflächlich, den neuen Glauben an und bildeten mannigfaltige synkretistische Religionsformen aus. Bis heute sind Erziehung, Bildung und Schulwesen in Kolumbien in starkem Maße von der katholischen Kirche geprägt und kontrolliert. In einem Konkordat des Jahres 1886 trat der Staat das Recht der Verwaltung und Leitung der öffentlichen Schulen des Primarbereichs an die Kirche ab. Im Jahr 1928 wurde der Kirche die Aufsicht über die Erziehungseinrichtungen (in allen intendencias und comisarías) übertragen. 1953 bekräftige der Staat erneut, dass alle Erziehung im Geist und in Übereinstimmung mit der katholischen Kirche zu erfolgen habe, der das Recht zugesprochen wurde, Schulen einzurichten und die Lehrer der Primarstufe wie der Sekundarstufe zu ernennen. Dabei ging die herrschende Erziehungsideologie stets von der Überzeugung der Superiorität der Weißen aus. Die Angehörigen der ethnischen Minderheiten sollten durch Unterricht in die nationale Kultur integriert werden. Indiokinder wurden in Internaten gesammelt und dort in der Regel fünf Jahre lang im nationalen und christlichen Sinn geformt.

Um der gewaltsamen Akkulturation und der Macht der katholischen Kirche gegenzusteuern, schloss der Staat im Jahr 1962 ein Abkommen mit dem US-amerikanischen evangelikalen Instituto Lingüístico de Verano (Summer Institut of Linguistics). Es sollte die Hegemonie der katholischen Kirche zurückdrängen. Nun begann ein Proselitismus unter fundamentalistischem, protestantisch-erwecklichem Vorzeichen. Die als Linguisten getarnten Missionare setzten das Zerstörungswerk an der indigenen Kultur und ihren Lebensformen, Glaubensvorstellungen und Sprachen fort. Bis heute hält die katholische Kirche die Schulverwaltung in Gebieten wie Amazonia, Vaupés, Llanos und Tierradentro unter Kontrolle. Daneben schossen in den letzten Jahrzehnten die Kirchen und Kulträume der "Sekten" nordamerikanischer Provenienz wie Pilze aus dem Boden. Die Schulen der Weißen führen weiterhin zur Desintegration der indigenen Kinder und zur Exklusion aus ihrer Kultur.

Erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts nehmen Indiogemeinschaften eine zunehmend kritische Haltung gegenüber der kulturellen und religiösen Bevormundung ein. Sie entwickeln Prinzipien einer Erziehung, die an den Notwendigkeiten und der Entwicklung des Lebens der Indios orientiert ist. Zahlreiche Ethnien in der Sierra Nevada de Santa Marta, in Meta, Vichada und im Chocó haben für ihre Kinder Programme einer autochthonen Bildung und bilingualen Erziehung entworfen. Was sich abzeichnet, ist der Weg zu einer Ethnoerziehung im Geist der indianischen Minderheiten. Orientiert an den eigenen kulturellen Werten, entwickelt auch die afrokolumbianische Bevölkerung ähnliche Programme mit dem Ziel, die eigene ethnische Autonomie zu stärken und im Rahmen der Begegnung mit anderen Kulturen weiter zu entwickeln.


Organisationen und Hilfsprogramme
- Im Jahr 1982 wurde die Organización Nacional Indígena de Colombia (ONIC) mit zahlreichen Unterorganisationen gegründet. Sie hat sich als Aufgabe gestellt, die Autonomie der indigenen Kulturen zu verteidigen, die Territorien der Indios zu schützen, die eigenen Bodenschätze zu kontrollieren, die ethnischen Traditionen und Religionen zu pflegen, eine zweisprachige und interkulturelle Bildung zu entwickeln und die Erfahrungen der traditionellen Medizin zu integrieren. Siehe www.es.wikipedia.org/wiki/Organización_Nacional_Indígena_de_Colombia

- Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR / ACNUR, Agencia de la ONU para los Refugiados) arbeitet auch in Kolumbien für die Vertriebenen und insbesondere für die Durchsetzung der Rechte ethnischer Minderheiten, deren Frauen und Kinder. Sie dringt darauf, dass sie den weltweit erklärten Rechten des Kindes (Erklärung der UNO, 1989) auch im Blick auf die Situation von Indiokindern Geltung verschafft wird.

- Das kolumbianische Institut Bienestar Familiar (ICBF) entwickelt Programme zur Unterstützung der indianischen Gemeinschaften in besonderen Notlagen. Es erreicht mit seinen praktischen Programmen (Kinderspeisungen, Frühstücke, Einrichtung von Kindergärten usw.) angeblich 52 Prozent der indigenen Kinder und Jugendlichen (432.736 Adressaten im Jahr 2008).

Links und Literatur

>LOS PUEBLOS INDÍGENAS EN COLOMBIA
(PDF)

>ICBF BRINDA ATENCIÓN ESPECIAL A INDÍGENAS DEL PAÍS
(PDF)

>La población indígena colombiana está siendo desvastada por el desplazamiento
(PDF)

>SALUD INDÍGENA EN CUIDADOS INTENSIVOS

>PUEBLOS INDÍGENAS DE COLOMBIA

>http://www.eacnur.org/04_02_01.cfm?id=435

>http://www.etniasdecolombia.org/grupos_pueblos.asp

>http://www.etniasdecolombia.org/grupos_etnoeducacion2.asp?cid=244&did=768

>http://colombia.indymedia.org/news/2009/01/97839.php

>http://www.asambleanacional.gob.ve/index.php?option=com_content&task=view&id=20366&Itemid=27

>http://es.wikipedia.org/wiki/Poblaci%C3%B3n_ind%C3%ADgena_de_Colombia

>NIÑEZ INDÍGENA DEL AMAZONAS

>INDÍGENAS Y CAMPESINOS GOLPEADOS POR EL CONFLICTO COLOMBIANO

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 15.01.2013 (s. admin)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |