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Europa

Ein junger Punk trainiert seinen Hund
(Eine Reportage von Maren Basfeld)

Hunde würgt man nicht. Das wissen auch Punks, zu deren Leben auf der Straße die Hunde gehören wie die Bierflaschen. Tom (20) ist einer von ihnen. An der Wand des Bochumer Jugendtreffs „Sprungbrett" lehnt er lässig, begleitet von zwei Hunden. Seinen Kopf ziert ein orange-gelber Iro. Der größere der beiden Hunde, ein gepflegter schwarz-weißer Huskymischling, trägt um seinen Hals ein lila-farbenes Tuch. Der zweite Hund, etwas kleiner, mit braunem zottigem Fell sitzt direkt neben dem Jungen. Beide Hunde tragen Geschirre, keine unbequemen Halsbänder. „Hey Tom, was hat Lucky heute Neues gelernt?", ruft ihm ein Junge zu. Über Toms Gesicht breitet sich Strahlen. Ruhig legt er die Leine des Huskys in die linke Hand. Von der Bewegung aufgeschreckt, steht dieser auf und sieht sein Herrchen erwartungsvoll an. Tom erhebt die rechte Hand und lässt seinen ausgestreckten Zeigefinger langsam aber bestimmt nach unten wandern. Sofort macht der vierjährige Hund Platz. Tom greift in den kleinen roten Beutel an seinem Gürtel und holt einen Hundecracker heraus. Er nimmt ihn zwischen seine Lippen, und ohne ein Kommando stellt sich Lucky auf seine Hinterbeine, stützt die Vorderpfoten auf Toms Brust und holt sich den Cracker.

Tom hat einen Napf mit Wasser für die Hunde besorgt und sich auf einem der Sofas im „Sprungbrett", einer offenen Beratungs- und Kontaktstelle der Bochumer Jugendhilfe, niedergelassen. Im Jugendtreff wird eine Kartoffelsuppe gereicht. Tom teilt seine Portion mit einem anderen Jungen, der zu spät gekommen ist. „Es kommt immer auf die Freunde und die Familie an, ob sie dich unterstützen, wenn’s dir mal scheiße geht, ob du dein Leben in den Griff bekommst", sagt er. „Es ist gut, dass es so viele Beratungsstellen wie das „Sprungbrett" gibt, ohne diese wären viele Jugendliche verloren."
Seitdem Tom in Bochum ist, geht es ihm gut. Durch die Unterstützung der Jugendhilfe, die er aus eigenem Willen in Anspruch nahm, hat er wieder eine Wohnung und konnte seinen Hund zu sich holen. Er hat eine Freundin, und manchmal passt er auf ihren Hund Tessi auf, wie heute. So glücklich war er nicht immer.

Nach seinem Hauptschulabschluss vor drei Jahren hatte er Deutschland besser kennen lernen wollen. Seine Mutter war einverstanden und versprach, sich um seinen Hund zu kümmern, solange er unterwegs ist. Doch irgendwann zwischen Hamburg und München verlor Tom den Bezug zum alten Leben. „Ich war wie ein Penner. Hätte nie gedacht, dass ich einmal so abrutsche." Gründe hierfür kann er keine nennen, es sei so passiert. Einige Zeit lebte er auf der Straße, hielt sich mit Schnorren über Wasser. Gesundheitlich ging es ihm immer schlechter, doch Tom wollte nicht aufgeben, auch seines Hundes wegen. Am meisten litt er selbst darunter.

Den Hund hatte er vor vier Jahren angebunden an einer Straßenecke gefunden. Er nahm ihn mit und gab ihn den Namen Lucky. Tom spricht mit dem Hund, streichelt ihn und sagt verträumt: „Wir sind beide Glückspilze. Er, weil ich ihn gerettet habe und ich, weil er mein Freund ist." Die Hunde trainiert Tom regelmäßig. Er möchte, dass es ihnen gut geht und sie auf ihn hören, ohne dass er brüllt oder hangreiflich werden muss. Er hasst Gewalt. Er achtet darauf, dass die Hunde genug Auslauf bekommen. Nachmittags will Tom mit den beiden in den Stadtpark gehen und sie trainieren. Vor allem Tessi muss er noch beibringen, dass sie neben ihm herläuft und nicht reagiert, wenn er Lucky Befehlzeichen gibt. Das will er heute erreichen.

Tom denkt über seine Zukunft nach. Er will eine Ausbildung als Koch anfangen und gleichzeitig seinen Realschulabschluss und vielleicht später noch sein Abitur nachmachen. „In der Schule lernt man so grundsätzliche Sachen, aber nichts, was aufs Leben vorbereitet." Gerne hätte er in kleinen Klassen gelernt, draußen, dort wo das Leben stattfindet. Kurz wird er still. Er streichelt seinem Hund über den Kopf. „Ich schau grad, was Sache ist in meinem Leben und wohin ich will, so'n Lebenszettel mache ich mir, wo drauf steht, welche Etappen ich bis zum Alter erreichen will." Schule, Ausbildung, die Wohnung behalten, meine Freundin, später mal Kinder und einen Job. Für die ersten Schritte kann er auf die Hilfe und Unterstützung seiner Mutter zählen. Tom weiß, dass das nicht selbstverständlich ist, aber wichtig: „Alleine schaffen es viele Jugendliche nicht, sich aus der Wohnungslosigkeit zu befreien."

Für Lucky hat er sich berappelt und nach einer Wohnung gesucht, um ihn endlich wieder bei sich zu haben. Ihm hat neben der Mutter vor allem sein Hund geholfen. Auf einmal zieht Tom sein rechtes Hosenbein hoch. Dort steht auf der Wade in Schrift: „Lucky".

Tom ist zufrieden mit seiner jetzigen Situation, und er weiß, wohin er im Leben will. „Auf einmal wusste ich, ich kann mir helfen, ich bin der einzige, der mir helfen kann. Das kam einfach so aus meiner inneren Mitte."
Für Tom ist es Zeit geworden. Er nimmt die Hunde an die Leine und macht sich auf den Weg zum Park für das Hundetraining.

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 20.09.2012 (s. admin)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |