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Elton

Elton raucht mit dem charmantesten Lächeln der Welt meine Zigaretten, und er fragt mich, ob es in Deutschland auch solche Typen gäbe wie ihn. Solche, die wie er aussehen. Und damit meint Elton Schwarze. Elton fragt, ob dort einer wie er Arbeit finden würde. Einer, der sich bewegt wie er. Und damit meint Elton: einen Krüppel. Ich erzähle von Deutschland, dem Osten, von Sozialversicherungen und den billigen Mieten in Berlin. Und Elton erzählt, dass er Angst hat, in jedem Monat 20 000 Pesos für die Miete seines Zimmers aufzubringen. Elton sagt, am schlimmsten wären die Politiker. Dann schimpfen wir gemeinsam über unsere Regierungen und das System, und Elton raucht mit dem charmantesten Grinsen meine Zigaretten.

Schwarzer von hintenElton sagt, er sei aus Urabá geflohen. Das ist die reichste Region des Landes. Und alle Drogen, die das Land verlassen, verlassen es über Urabá. Aber die Menschen verhungern in Urabá, sagt Elton. Er sagt: Ich habe mir geschworen, nie zu stehlen. Niemals. Nur einmal, da musste ich stehlen. Meine Familie wäre sonst verhungert, sagt Elton. Elton sagt: Das mit dem Bein, das war eine Kinderkrankheit.

Elton sagt, das mit dem Bein, sei eine Schussverletzung. Die Kugel ging hinten, knapp über den Becken, rein und kam vorne wieder raus. Es gibt viele Kugeln in Urabá. Und viele Tote, sagt Elton. Zuerst kam die Guerilla. Dann kamen die Autodefensas. Elton sagt: Die Paramilitärs waren notwendig, sonst wäre Kolumbien heute in der Hand der Guerilla. Für viele waren die Paramilitärs die letzte Hoffnung, weil sie die Guerilla bekämpfen. Und weil sie Sold zahlen. Die Menschen verhungern in Urabá. Und die größten Verbrecher, das sind die Regierung und das Militär, sagt Elton. Das mit dem Bein, das war ein Unfall, sagt Elton.

Elton sagt: Das mit dem Bein, das ist in einem Gefecht passiert. Aber darüber will er nicht reden. Elton sagt, er kann darüber nicht reden. Wir sitzen schweigend im Schatten, und Elton raucht mit dem charmantesten Grinsen meine Zigaretten.

Elton sagt: Es ist nicht leicht, bei den Paramilitärs rein zu kommen. Es gibt da eine richtige Aufnahmeprüfung. Du kriegst eine Waffe und musst jemanden umlegen. Dann musst du ihn mit der Kettensäge zerlegen. Und dann musst du sein Blut trinken. Elton sagt: Wirklich wahr, Mann. Nur so ein kleines Glas voll. Wenn es noch warm ist. Elton sagt: Es schmeckt wie Milch. Manche müssen auch ein Stück Herz essen. Nur so ein ganz kleines Stück. Schmeckt wie Rindfleisch. Richtig hart war erst das Ausbildungslager, sagt Elton

Elton sagt: Wenn wir den Auftrag bekamen, ein Dorf zu säubern, dann haben wir es gemacht. Wir sind rein und haben es sauber gemacht. So einfach ist das. Elton sagt: Wenn man im Krieg ist, dann kämpft man. Jeden Tag. Egal, gegen wen. Man kämpft, nur um zu überleben. Es ist etwas, was man lernt. Etwas, woran man sich gewöhnt. Du, wenn du jemanden umbringst, dann tu es schnell. Lass es nicht dazu kommen, dass er mit dir spricht, sagt Elton. Das ist das erste was du lernen musst, sagt Elton, und er raucht meine Zigaretten.

Elton sagt: Wir konnten die Leichen der Unseren nicht nach Hause bringen. Wir mussten sie, wie die Leichen unserer Gegner, zerlegen und begraben. Die Geier am Himmel hätten uns sonst verraten. Die Leichen, die wir in den Flüssen versenkten, nahmen wir vorher aus. Ausgenommen, kommen sie nicht wieder nach oben. Manchmal schmissen wir die Gefangenen lebend in den Fluss, den Kaimanen zum Fraß. Dann erledigte sich das Problem mit den Leichen von selbst. Ich betrachte Elton, wie er mit seinem charmanten Lächeln meine Zigaretten raucht, Elton, der niemals stehlen wollte. Der nur einmal stahl, weil seine Familie sonst verhungert wäre.

Elton, sagt, die schlimmsten Verbrecher sind die Politiker. Die Soldaten haben immer Bescheid gewusst, sagt er. Sie haben uns, den Paracos, Bescheid gegeben und gesagt, wo sich die Guerilleros aufhielten. Wir warteten bis die Nacht kam, bis sie betrunken waren. Dann gingen wir rein und erledigten das. Keiner blieb übrig, sagt Elton.

Elton sagt, das mit dem Bein, das ist bei einem Gefecht passiert. Die Kugel ging über dem Becken rein und kam vorne wieder raus. Sein bester Freund habe die Wunde mit einem glühenden Stück Eisen ausgebrannt. Sonst wäre er verblutet. Danach musste ich heim und hatte Zeit nachzudenken, sagt Elton.

Elton sagt, als er zu Hause war, hatte er zum ersten Mal in seinem Leben Zeit nachzudenken. Ich hab meinen Kommandanten gebeten, mir Geld zu geben, weil meine Familie am Verhungern war. Er wollte nur 20 000 Pesos, aber sein Kommandant sagte Nein. Ich hab Tonnen von Koks gesehen. Koffer voller Geld. Ich hab die großen Villen der Kommandanten gesehen. Ich habe sie bewacht, sagt Elton. Da bin ich ausgestiegen. Hab mich nicht mal verabschiedet, sagt Elton.

Elton sagt, er hatte einen Freund, den besten. Elton sagt, sie waren Freunde seit der Kindheit. Der Freund hatte etwas mit der Frau eines anderen Paramilitärs. Elton sagt, klar, so etwas tut man nicht. Aber man bringt wegen so etwas auch niemanden um. Nicht deshalb. Elton sagt: Sie haben meinem Freund den Kopf abgehackt. Elton sagt, er hat ihn rächen müssen. Er sagt: Ich hab’s angekündigt. Ich hab’s allen gesagt. Meiner Mutter. Meinem Kommandanten: Ich werde ihn erschießen.

Elton sagt, dass er nachher fliehen musste. Sie sind zu mir nach Hause gekommen. Das erste Mal war ich nicht da. Das zweite Mal bin ich durch die Hintertür abgehauen. Und jetzt bin ich hier, sagt Elton.

Elton sagt, was wundert’s dich? Du kannst das nicht begreifen. Auch wenn du mit noch so vielen Menschen redest, kapierst du nichts. Du wirst diesen Krieg nie verstehen. Elton sagt: Diesen Krieg versteht nur, wen er persönlich betrifft. Dieser Krieg betrifft hier alle, und jeden betrifft er auf seine Weise. So ist das, sagt Elton.

 

 

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 27.09.2012 (s. admin)Online Kompetenz  |  Sitemap  |    |