Jungen am Abfall
 

JungenRumänien
(Hartwig Weber, August 2011)


Hintergrund
Mit seiner Größe von 237 500 Quadratkilometern und 21,5 Millionen Einwohnern liegt Rumänien (România) in Südosteuropa. Im Nordwesten grenzt es an Ungarn, im Norden an die Ukraine, im Osten an die Republik Moldau sowie an das Schwarze Meer, im Süden an Bulgarien und im Westen an Serbien. Hauptstadt mit 1,9 Millionen Einwohnern ist Bukarest. Die meisten Rumänen sind rumänisch-orthodox, einige wenige römisch-katholisch (5 Prozent) oder griechisch-orthodox (1 Prozent). 0,3 Prozent der Bevölkerung sind Muslime (vgl. Auswärtiges Amt zu Rumänien:
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Rumaenien_node.html).

1862 schlossen sich die Donaufürstentümer Walachei und Moldau zu Rumänien zusammen und erreichten 1878 auf dem Berliner Kongress die Anerkennung der Unabhängigkeit. 1918 wurden im Norden Transsilvanien (Siebenbürgen), im Westen das Banat und im Osten Bessarabien angegliedert. Rumänien ist eine Republik mit einem Präsidenten als Staatsoberhaupt und einem Premierminister als Regierungschef. Das Parlament besteht aus der Abgeordnetenkammer und dem Senat (Zur Geschichte Rumäniens:

http://www.rumaenien-info.at/de/wissenswertes/geschichte).
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Rumänien Teil des Warschauer Paktes. Seit 1989 hat es sich politisch den westeuropäischen Staaten angenähert. 2004 wurde es Mitglied der NATO und 2007 der Europäischen Union. Rumänien ist Mitglied in zahlreichen internationalen Organisationen (Vereinte Nationen und deren Sonderorganisationen, Europarat, OSZE, WTO, IWF, Weltbank usw.).


Mit fast 90 Prozent sind Rumänen die größte Bevölkerungsgruppe des Landes. Daneben gibt es die Minderheiten der Ungarn (6,6 Prozent), der Roma (2,5 Prozent) und der Deutschen (Siebenbürger Sachsen, Donauschwaben, 0,3 Prozent) sowie weitere kleine Gruppen. Das Pro-Kopf-Einkommen (Nettodurchschnittsgehalt) betrug im Dezember 2010 348,51 Euro. (Vgl. Auswärtiges Amt, Länderbericht Rumänien:

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Rumaenien_node.html).


Jungen 3In der nachkommunistischen Zeit, in der Rumänien einen demokratischen und marktwirtschaftlichen Kurs einschlug, gelang dem Land ein nur langsames Wachstum der Wirtschaft. Unter Bezug auf den Länderbericht 2010 des US-Außenministeriums zum Umgang mit den Menschenrechten in aller Welt beklagte Amnesty International (vgl. Länderbericht Rumänien 2011
http://www.amnesty.de/jahresbericht/2011/rumaenien), dass es immer noch Korruption auf Behörden- und Regierungsebene sowie exzessive Brutalität der Polizei insbesondere gegenüber der heimischen Minderheit der Roma gebe. Das Rechtssystem sei politisch beeinflusst, und in den Haftanstalten herrschten „Dritte-Welt-Verhältnisse".


In Rumänien leben schätzungsweise 1,8 bis 2,5 Millionen Roma (10 Prozent der Gesamtbevölkerung). Die meisten von ihnen bekennen sich nicht zu dieser Minderheit oder besitzen keine Personaldokumente. So können sie bei Volkszählungen auch nicht erfasst werden. Die meisten Roma leben in Armut. Der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wird ihnen verwehrt oder erschwert. Auf dem Arbeitsmarkt haben sie nur geringe Chancen. Von den Folgen der Exklusion sind besonders die Kinder betroffen. Die meisten Romakinder brechen die Schullaufbahn verfrüht ab. Ihre medizinische Versorgung ist mangelhaft (vgl. Roma in Rumänien:
http://de.wikipedia.org/wiki/Roma_in_Rum%C3%A4nien).


Mehrfach hat die Europäische Kommission die rumänischen Behörden aufgefordert, das Justizwesen zu reformieren und Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption zu ergreifen. Dennoch gibt es nach wie vor Nachrichten von Misshandlungen und Berichte über unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch Polizisten, deren Opfer meist Roma sind. Rumänische und internationale Nichtregierungsorganisationen, darunter Amnesty International, beklagen darüber hinaus, dass die Unterbringung und die Behandlung von Patienten in psychiatrischen Einrichtungen nach wie vor gegen internationale Menschenrechtsstandards verstoßen. Die Diskriminierung von Angehörigen der Roma von Seiten der Behörden wie auch der Gesamtgesellschaft setze sich fort, ohne dass die rumänischen Behörden angemessene Maßnahmen ergriffen, um den Missstand abzustellen und den Roma einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie zu Gesundheits- und Bildungsleistungen zu schaffen.


Kinder und Jugendliche in Rumänien
Mit 8 790 423 Personen machen Kinder und Jugendliche etwa 40 Prozent der Gesamtbevölkerung Rumäniens aus. Die Lebensformen der Jugendlichen haben sich im letzten Jahrzehnt tiefgreifend gewandelt. Bis 1989 waren sie in staatlich gelenkte Programme eingebunden. Jetzt orientieren sie sich an westeuropäischen und US-amerikanischen Vorbildern, die ihnen die Medien vermitteln. Als dringendste Probleme und Wünsche nennen Jugendliche die Chance, eine eigene Wohnung zu bekommen, einen Arbeitsplatz zu finden, die allgemeinen Lebensumstände zu verbessern und eine eigene Familie gründen zu können (Vgl. 

http://www.dija.de/rumaenien/rahmenbedingungen-fuer-die-jugendarbeit-ro/situation-der-kinder-und-jugendlichen/).


Zwischen 1999 und 2003 ging die Arbeitslosigkeit zurück. Aber immer noch beträgt die Jugendarbeitslosigkeit mehr als 40 Prozent. Damit liegt sie weit über dem europäischen Durchschnitt von etwa 15%.


Zahlreiche Schüler brechen vorzeitig die Schule ab, und trotz Studium oder Ausbildung haben viele keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Der durchschnittliche Monatslohn von 150 € liegt an der unteren Grenze der EU-Länder. Die meisten Jobs sind so schlecht bezahlt, dass sich junge Menschen keine eigene Wohnung leisten können. Die Arbeitsmigration von 20- bis 35Jährigen nach Westeuropa (Spanien und Italien) und nach Übersee (vor allem nach Kanada) ist sehr hoch.


Kriminalität. Infolge des tiefgreifenden wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Wandels hat die Jugendkriminalität in Rumänien in den letzten Jahren stark zugenommen. Jugendliche machen sich insbesondere Verstößen im Bereich von Gewalt und sexuellem Missbrauch schuldig. Zahlreiche Schulen sind zum Tummelplatz für Kleinkriminelle, Jugendbanden und Drogenhändler geworden. Die häufigsten Jugenddelikte sind Diebstahl, Raubüberfälle, Körperverletzungen und Prostitution.


Drogen. Seit 1989 nimmt der Drogenkonsum unter rumänischen Jugendlichen zu. Am häufigsten nehmen sie Haschisch und Marihuana, gefolgt von chemischen Drogen wie Ecstasy, LSD und Heroin (vgl.

http://www.dija.de/rumaenien/rahmenbedingungen-fuer-die-jugendarbeit-ro/situation-der-kinder-und-jugendlichen/). Am gravierendsten ist das Problem in den großen Städten. In Schulen, Hochschulen und am Arbeitsplatz ist der Konsum von Marihuana, Heroin und Haschisch keine Seltenheit. Die Bekämpfung des Rauschgiftmissbrauchs ist in Rumänien Aufgabe der Nationalen Agentur zur Drogenbekämpfung (vgl. Agentia Nationala Antidrog: http://www.ana.gov.ro/rom/de.htm).

 

Junge in einer RöhreStraßenkinder in Rumänien
In Rumänien soll es Tausende von Obdachlosen geben. In der Millionenstadt Bukarest leben über 3000 meist drogenabhängige Straßenkinder. „Von zu Hause weggelaufen, verstoßen, von sogenannten Kinderheimen ausgerissen und überall zu finden, das sind die Kinder der Straße. In den Bahnhöfen, Markthallen, Hinterhöfen von Wohnblocks und in der Kanalisation suchen sie Wärme, Geborgenheit und Unterschlupf. Ihren Hunger, die Kälte und die Angst betäuben sie meist mit Lack, den sie aus Plastikbeuteln schnüffeln. Dieses Schnüffeln bewirkt irreparable Schäden im Gehirn und verwehrt ihnen die Aufnahme in ein besseres Leben. Keine Schulbildung, kein Beruf, mal Gelegenheitsarbeit, mal betteln - warten auf was?" (vgl.
http://www.salvatorianer.at/content/site/missionsoziales/sozialprojekttemesvar/article/298.html)


 

Die Angaben über die Anzahl der rumänischen Kinder und Jugendlichen der Straße sind uneinheitlich und widersprüchlich. Sie reichen von knapp zweitausend bis 30 000 oder gar 100 000 (vgl. http://www.zeit.de/1997/31/Die_Kinder_vom_Bahnhof_Bukarest; Videos: http://wn.com/Street_Children_in_Romania). Straßenkinder gab es bereits in kommunistischer Zeit. Allerdings wurde das Phänomen von der damaligen Regierung geleugnet. Einige Quellen behaupten, die Anzahl der Straßenkinder gehe seit den 1990er und frühen 2000er Jahren zurück, andere sprechen vom Gegenteil: Die Anzahl der Straßenkinder nehme dramatisch zu (Vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8849263.html).


Wie in anderen Ländern, so reagiert auch in Rumänien die Bevölkerung mit Ablehnung, Nichtbeachtung und Diskriminierung auf die obdachlosen Kinder und Jugendlichen auf der Straße. In der rumänischen Umgangssprache werden Straßenkinder als „Ratten", „Müll" und „Abschaum" bezeichnet. Internationale Proteste und Aufrufe zu Maßnahmen zum Schutz der Kinder blieben weithin folgenlos.


Der hauptsächliche Grund für die Existenz von Straßenkindern ist die Armut ihrer Eltern. Hinzu kommt eine verspätete Auswirkung der Bevölkerungspolitik von Nicolae CeauČ™escu (vgl.

http://de.wikipedia.org/wiki/Nicolae_Ceau%C8%99escu): Im Jahr 1966 hatte er Empfängnisverhütung und Abtreibungen gesetzlich untersagt, um die Bevölkerungszahl zu erhöhen. Bereits nach einem Jahr verdoppelte sich die Geburtenziffer. Aus dieser Maßnahme entstanden mit der Zeit gravierende soziale Probleme. Illegale Abtreibungen führten häufig zur Geburten behinderter Kinder. Sie wurden zusammen mit anderen unerwünscht geborenen Kindern in Sozialwaisenhäusern untergebracht, wo sie unter menschenunwürdigen Bedingungen leben mussten. Infolge wachsender Armut konnten viele Familien ihre Kinder nicht mehr ernähren. Sie gaben sie in den Waisenhäusern ab oder töteten sie. Nach 1989 nahm die Zahl der (nun legalen) Schwangerschaftsabbrüche rapide zu. 1997 lebten eine Million Kinder in staatlichen Heimen (vgl. C. Prets: „Bis zu 800.000 Männer, Frauen und Kindern werden jedes Jahr Opfer des Menschenhandels." Siehe http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=1043).


schlafendes Kind1990 hat Rumänien die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen und 2002 auch die Zusatzprotokolle zur Ächtung von Kinderprostitution, Kinderhandel und Kinderpornografie ratifiziert. Trotzdem leben, wie aus Studien von UNICEF hervorgeht, mehr als eine Million rumänischer Kinder in Armut, 350 000 in extremer Armut leben. Die körperliche Misshandlung von Kindern soll in rumänischen Familien an der Tagesordnung sein. Zehntausende Minderjähriger sind auf die Straße geflohen. Verbreitet unter Jugendlichen ist der Missbrauch von Alkohol. Viele leiden unter Depressionen.


Aufenthaltsorte von minderjährigen Straßenbewohnern sind Kanalisationssysteme, insbesondere in der Nähe von Fernheizungsrohren, Stationen der U-Bahn, Bahnhöfe und Großbaustellen. Die Kinder und Jugendlichen sind ärmlich gekleidet und schmutzig. Verbreitet sind Krankheiten (Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Hepatitis, Aids (Vgl. Raluca Nelepcu und Olivian Ieremiciu:

http://www.funkforum.net/print.php?page=ARTICLE&particleid=536). Straßenkinder schnüffeln Farbenverdünnungsmittel, das die Atemwege beschädigt und Herz-, Hirn- und Nervenerkrankungen verursacht.


Wie in anderen Ländern, so leben auch rumänische Straßenkinder in hierarchisch gegliederten Gruppen mit rigider Binnenmoral. Bettel, Diebstahl und andere Kleinkriminalität sind die hauptsächlichen Erwerbsquellen. Oft lehnen die Minderjährigen die Hilfe von Institutionen ab, insbesondere wenn sie sich dabei bestimmten Regeln unterwerfen müssen – sie ziehen „die Freiheit der Straße" vor.


Viele Straßenkinder werden sexuell missbraucht und ausgebeutet. Rumänien (Bukarest) scheint ein Anziehungspunkt für pädophile Straftäter zu sein (vgl.
http://www.youtube.com/watch?v=7m-kHf4hy9g). Im Jahr 2001 wurde ein Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels und sexuellen Missbrauchs erlassen. Obgleich der sexuelle Missbrauch von Kindern mit Haftstrafen bis zu fünfzehn Jahren bestraft wird, sollen nach wie vor Frauen und Kinder aus Rumänien in andere europäische Länder verschleppt und zum Beispiel in Hamburg, Berlin und Amsterdam sexuell missbraucht werden.


Nach 1996 sind Tausende von rumänischen Kindern zur Adoption ins Ausland vermittelt worden. Im Jahr 2001 wurde diese fragwürdige Maßnahme ausgesetzt. Die Adoptionspraxis ließ sich jedoch bisher nicht wirklich abstellen (siehe

http://forum.gofeminin.de/forum/adoption/__f366_adoption-Kinderheime-in-Rumanien.html).


Videodokumentationen:

- youtube.com, RTL, Rumänische Straßenkinder, Kinderzuhälter in Bukarest, 8:54 min
- youtube.com, Streetwise Kids - Romania, in englischer und rumänischer Sprache, ohne Untertitel, 15:44 min
- youtube.com, Russia Today: Slumdog Kids. Abandoned children of Romania, 16. September 2009, in englischer Sprache, 3:36 min
- youtube.com, Public Broadcasting Service, European Journal, Erin Condit: Romanian Street Children. 9. Oktober 2008, in englischer Sprache, 5:12 min
- youtube.com, Edet Belzberg: Children Underground (deutscher Titel Asphaltkinder in Bukarest), 2001, in englischer Sprache, 12 Teile von jeweils etwa 9 min, zusammen etwa 108 min.



Letzte Aktualisierung dieser Seite: 06.11.2012 (s. admin)