Indien, Land der Kinder
Indien ist ein junges Land. Etwa 40% aller Inder sind weniger als 15 Jahre alt. 17 bis 18 Millionen Kinder kommen in einem Jahr zur Welt. Jedes fünfte Kind der Erde lebt in Indien. Indien ist mit über einer Milliarde Menschen, mit vielen unterschiedlichen Religionen, Sprachen und Kulturräumen nicht nur ein Subkontinent, sondern ein Kontinent. Kindheit in Indien umfassend zu beschreiben, ist nahezu unmöglich. In Indien gibt es kaum jemanden, der keine Kinder bekommen möchte - und das unabhängig von der sozialen Schicht. Der Kinderwunsch ist vielleicht das einzige gemeinsame Merkmal der indischen Ehepaare.
Kinder sind gleichsam "Segen wie Fluch". Sie werden geliebt und vergöttert. Wenn die Eltern es sich leisten können, verwöhnen sie ihre Kinder oft maßlos und versuchen, ihnen jeden Wunsch zu erfüllen. Mehr und mehr rechnet man nur noch mit einem oder zwei Kindern. Gleichzeitig treten mittelschichtsorientierte Werte in den Vordergrund: Jeder möchte gerne ein kleines Auto, ein Haus und eine Waschmaschine haben. Für ärmere Familien bedeuten Kinder Zukunftssicherung, insbesondere, wenn sie viele Söhne haben, die zum Unterhalt der Familie beitragen. Kinder können aber auch Ruin bedeuten, zumal, wenn es sich um Mädchen handelt, für deren Aussteuer bei der Hochzeit Unsummen ausgegeben werden (müssen), so dass sich ihre Familien auf Generationen hinaus verschulden. Je gebildeter eine Tochter ist, desto mehr ist sie wert. Deshalb haben manche Familien überhaupt kein Interesse an der schulischen Bildung ihrer Töchter, um ihren "Wert" dadurch nicht noch weiter nach oben zu treiben. Kinder aus hinduistischen Familien gelten bis zum 5. Lebensjahr als "rein". Man spricht ihnen die Unterscheidungsfähigkeit zwischen "gut" und "böse" ab. Deshalb beginnt die (moralische) Erziehung erst nach diesem Alter. Kinder werden verwöhnt, und man versagt ihnen kaum einen Wunsch. Gleichzeitig spielt Respekt vor älteren Menschen eine große Rolle in der Erziehung. Über den Raum der Familie hinaus werden Gehorsam und Anpassung erwartet. Kinder aus armen Familien haben es oft schwer. Sie bleiben sich selbst überlassen. In den ersten Lebensjahren begleiten sie die alltäglichen Verrichtungen ihrer Mütter auf deren Rücken, oder sie spielen und krabbeln auf dem Boden, oft auf der Straße. So früh wie möglich werden Kinder in die Erwerbsarbeit einbezogen, zum Beispiel ins Betteln an Straßenkreuzungen. Sie übernehmen einfache Verrichtungen auf Müllhalden oder in Steinbrüchen. So wachsen Kinder aus armen Familien schnell in das herrschende Arbeits- und Armutssystem hinein. Nicht selten werden Kinder dabei überfordert, ausgenutzt, misshandelt und sogar missbraucht. So geschieht es nicht selten, dass sie aus ihren Familien fliehen. Sie laufen weg und werden zu Straßenkindern. Andere werden an Kinderhändler verkauft. Die Eltern tun dies bisweilen in der leichtgläubigen Hoffnung, dass es den Kindern woanders besser gehen könne. Was vor allem zählt, ist das Geld, das ihnen der Kinderhandel einbringt. Viele Kinder waren kaum zehn, elf oder zwölf Jahre alt, als sie aus ihren Familien verstoßen wurden. Nun müssen sie selbst sehen, wo sie bleiben und wie sie zurecht kommen können.
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Letzte Aktualisierung dieser Seite: 26.07.2013 (s. admin) |