Kinderarbeit, Kinderarmut
(Text und Fotos: Hartwig Weber, Juli 2009)

Junge Bananen


Inhaltsverzeichnis
Zahlen und Fakten
Gründe
Arbeitsfelder
Verdienstmöglichkeiten
Kinderarbeit verhindert Bildung
Maßnahmen gegen Kinderarbeit
Literatur und Links

Kinderarbeit ist ein Alltagsphänomen in Kolumbien. Die Zahl der minderjährigen Jungen und Mädchen, die mit ihrer Arbeit zum Überleben ihrer Familien beitragen müssen, wird auf eine bis zwei Millionen geschätzt. Ausschlaggebend für dieses Schicksal ist die herrschende Armut. Auf dem Land sind Kinder meist in der Landwirtschaft, in der Stadt vor allem im Straßengewerbe oder in Haushalten beschäftigt. Besonders unzuträglich und gefährlich für sie ist die Arbeit im Bergbau, in der Prostitution und im bewaffneten Kampf von Guerilla und paramilitärischen Gruppen (>Kindersoldaten). Arbeit hält Minderjährige vom Schulbesuch ab, hat schädliche Auswirkungen auf ihre Gesundheit und minimiert die Chancen auf eine menschenwürdige Zukunft, da Kinderarbeit die Bildungsmöglichkeiten einschränkt. Kinderarbeit steht der Verwirklichung der Kinderrechte entgegen. Seit Jahren unternimmt die kolumbianische Regierung große Anstrengungen, um die Kinderarbeit einzuschränken. (mehr?)

Zahlen und Fakten
Angeblich hat die Zahl der arbeitenden Kinder in Kolumbien in den letzten Jahren abgenommen. Ihr Anteil an der Gesamtheit der Kinder und Jugendlichen des Landes im Alter zwischen 5 und 17 Jahren soll (nach Angaben des Kongresses "El Maltrato y la Erradicación del Trabajo Infantil" in Bogotá, Cali und Medellín im Jahr 2007) von 12,8 Prozent im Jahr 2001 auf 10,4 Prozent im Jahr 2003 und schließlich auf 8,9 Prozent im Jahr 2005 gefallen sein. Nach offiziellen Angaben (DANE) lebten im Jahr 2005 in Kolumbien 11.917.167 Kinder im Alter zwischen 5 und 17 Jahren, von denen 1.058.810 Kinder ihren Alltag zwischen Schule und Arbeit aufteilen mussten. 210.920 Kinder konnten wegen Arbeitsverpflichtungen überhaupt nicht am Schulunterricht teilnehmen. Nach UNICEF-Schätzung gab es 2008 in Kolumbien 2 bis 2,5 Millionen arbeitende Jungen und Mädchen im Alter zwischen 9 und 17 Jahren. 1,6 Millionen arbeitende Kinder sind zwischen 12 und 17, fast 800.000 zwischen 6 und 14 Jahre alt.

Von den fast 12 Millionen kolumbianischen Kindern leben 3 Millionen auf dem Land, über 500.000 von ihnen (15 Prozent) arbeiten. Mehr als 8 Millionen Kinder leben in Städten, von denen 500.000 (6,3 Prozent) arbeiten. Die meisten der Kinder, die arbeiten müssen, stammen aus armen Familien. Auf dem Land sind Kinderarbeiter meist männlichen Geschlechts. In den Städten arbeiten etwa genauso viele Mädchen wie Jungen. 10 Prozent aller Kinder des Landes versäumen den Schulunterricht, weil sie einer Arbeit nachgehen, zum Überleben ihrer Familien beitragen oder fürs eigene Auskommen sorgen müssen. Während der Schulferien schnellen die Zahlen der Kinderarbeiter regelmäßig in die Höhe, bei den Jungen um 30, bei den Mädchen um 60 Prozent. Viele Eltern, die ihre Kinder zum Arbeiten statt zur Schule schicken, behaupten überdies, sie könnten die Kosten des Schulbesuchs nicht bezahlen und für Uniformen, Bücher, Materialien und Schulspeisungen nicht aufkommen.

Erica

 

Gründe
Kinderarbeit hängt in Kolumbien außer mit Armut eng mit einer Reihe politischer und sozialer Phänomene zusammen: In der Vergangenheit wurden zwischen 3 und 5 Millionen Kolumbianer aus ihrer Heimat vertrieben, unter ihnen etwa 30 Prozent Kinder (>Vertreibung). Pro Jahr fliehen über 100.000 Kinder unter 5 Jahren vom Land in die Städte (>Flüchtlingskinder). Kriegerische Auseinandersetzungen, alltägliche Gewalt und Krankheiten sind dafür verantwortlich, dass jedes Jahr etwa 50.000 Kinder in Kolumbien sterben (>Kriegerische Auseinandersetzungen). Besorgniserregend ist die steigende Zahl von Jugendlichen, die sich, perspektivlos, entmutigt und deprimiert, selbst das Leben nehmen. Infolge der Armut ist die Kindersterblichkeit bereits bei der Geburt sehr hoch, sie liegt bei 104,9 von 100.000 Lebensgeburten (zum Vergleich: in Kanada sind es 2,5 pro 100.000 Lebendgeburten). Neugeborenen in unterprivilegierten Familien droht Unterernährung. 10 Prozent aller lebend geborenen Kinder weisen ein Untergewicht auf. Mangelnde und ungesunde Ernährung bedrohen Mütter, Säuglinge und Kleinkinder. Viele Kinder wachsen mit nur einem Elternteil auf, 25 bis 30 Prozent der Kinder unter 5 Jahren ohne Väter. Unzählige Kinder werden früh Opfer von Gewalt, Unfällen, Übergriffen. Medicina Legal behauptet, dass jedes Jahr etwa 1.500 Kinder unter 5 Jahren Opfer von sexuellem Missbrauch werden (>Sexuelle Ausbeutung).

Offensichtlich sind es vor allem ökonomische Gründe, die Kinder in die Arbeit treiben. Über 50 Prozent der kolumbianischen Gesamtbevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Von diesem Elend sind 65 Prozent aller Jugendlichen unter 18 Jahren und über 15 Prozent aller Kinder unter 5 Jahren betroffen.

Mehr als 20 Prozent der Bevölkerung, unter ihnen unzählige Kinder, sind obdachlos ("población indigente"). Kinderarbeiter stammen fast alle aus armen Familien. Wer arm geboren wird, hat kaum eine Alternative: 90 Prozent der ärmsten kolumbianischen Kinder zwischen 9 und 17 Jahren müssen arbeiten und mit dem, was sie verdienen, ihre Eltern und Geschwister unterstützen.

Auf viele Kinder insbesondere aus unterprivilegierten Familien wirken darüber hinaus Faktoren ein wie innerfamiliäre Gewalt, Ausbeutung, Missbrauch und fehlende Zukunftsperspektiven (vgl.
www.monografias.com/trabajos10/train/train.shtml?relacionados).

Bestimmend für die große Zahl minderjähriger Kinder, die arbeiten statt zur Schule zu gehen, ist auch die Einstellung ihrer Eltern. Steht die Öffentlichkeit diesem Phänomen im Allgemeinen sehr tolerant gegenüber, so fehlt insbesondere in den marginalisierten Familien das Bewusstsein, dass Kinderarbeit eine Beeinträchtigung der Rechte des Kindes darstellt. Sie behindert Entfaltung, Wachstum und Gesundheit der Minderjährigen. Die Eltern arbeitender Kinder haben oft ein niedriges Bildungsniveau. Sie verstehen nicht, welche Bedeutung die Schul- und Berufsausbildung für die Zukunft ihrer Kinder hat. Wenn sie ihre Kinder zur Arbeit schicken, glauben sie, sie bereiteten sie gut und angemessen aufs Leben vor.

Arbeitsfelder
Kinder sind zu 90 Prozent im informellen Sektor beschäftigt, wo sie allen möglichen Tätigkeiten nachgehen. Sie arbeiten auf der Straße, auf Märkten, an Straßenkreuzungen und Ampeln, putzen Schuhe, waschen Autos, sammeln Müll, tragen Lasten, übernehmen Botengänge. Die meisten arbeiten für ihre Eltern, nur verhältnismäßig wenige sind außerhalb ihrer Familie beschäftigt. Bei den Müllsammlern (recicladores) ist es üblich, dass der ganze Familienverband demselben Tagesgeschäft nachgeht. Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren arbeiten vor allem in Haushalten der Wohlhabenden als Gehilfinnen. In den Städten ist die Zahl der arbeitenden Mädchen etwa genau so hoch wie die der Jungen. Ist dort die Kinderarbeit auf Straßenhandel, Hausdienste und Beschäftigungen in Bäckereien, Autowerkstätten und auf Märkten konzentriert, so sind auf dem Land 80 Prozent der Jungen in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Kinderarbeit ist in Gegenden überdurchschnittlich konzentriert, wo Kaffee, Zuckerrohr und Bananen angebaut werden. Vor der Gewalt, den kriegerischen Auseinandersetzungen und blutigen Massakern fliehen sie in die Städte. Viele Jungen und Mädchen stammen aus den Slums, die als Elendsgürtel um die Städte herum wuchern. Sie suchen in den Zentren Arbeit, um den Überlebenskampf ihrer Familien zu unterstützen.

Am gefährlichsten leben Minderjährige, wenn sie sich, um nur irgendein Auskommen zu haben, bei Gruppen der Guerilla oder Paramilitärs als Kindersoldaten verdingen (>Kindersoldaten). In Gegenden, wo Drogenanbau und -handel florieren, arbeiten Kinder als "raspachines", Pflücker von Kokablättern. Lebensgefährlich ist auch die Arbeit in den Minen. 9.000 kolumbianische Kinder sollen im Bergbau beschäftigt sein. In den letzten Jahren ist überdies die Kinderprostitution - sowohl von Mädchen wie von Jungen - sprunghaft gestiegen (>Sexuelle Ausbeutung).  

Arbeitskarren


Verdienstmöglichkeiten
Kolumbianische Kinder arbeiten durchschnittlich 40 Stunden in der Woche, je älter sie werden, umso länger. Trotzdem erreichen sie fast nie den staatlich verordneten Mindestlohn. In der Stadt kommen Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren durchschnittlich auf zwei Drittel des "suelto mínimo", auf dem Land bekommen sie weniger als ein Viertel. Viele Minderjährige verdienen überhaupt kein Geld, sie müssen sich damit zufrieden geben, etwas zu essen und eine Unterkunft zu bekommen.

Kinderarbeit verhindert Bildung
Arbeitende Kinder gehen prozentual viel seltener zur Schule als Kinder, die nicht zu arbeiten brauchen. Dieser Unterschied ist auf dem Land, wo Schule und Arbeit schwer miteinander zu vereinbaren sind, noch deutlicher ausgeprägt als in der Stadt. Von den Stadtkindern zwischen 12 und 13 Jahren, die nicht arbeiten, gehen 95 Prozent zur Schule. Von denen, die einer Beschäftigung nachgehen, besuchen immerhin 50 Prozent auch die Schule. Auf dem Land nehmen von den nicht arbeitenden Kindern 80 Prozent am Unterricht teil, während 75 Prozent der arbeitenden Kinder die Schule ganz meiden. Entsprechend niedrig ist ihr Bildungsniveau. Kinderarbeit, die die Gefahr, nicht zur Schule zu gehen, um ein Mehrfaches steigert, hat verheerende Folgen für die Zukunft der Betroffenen. Die Chancen der Jugendlichen, auf dem Arbeitsmarkt einen Beruf ausüben zu können und ein Auskommen zu finden, wird stark minimiert.

Maßnahmen gegen Kinderarbeit
Nach kolumbianischem Gesetz (Códico de Infancia y Adolescencia) ist es eigentlich verboten, dass Kinder unter 15 Jahren arbeiten (>Kinderrechte). Beschäftigungen älterer Jugendlicher sind reglementiert. So dürfen Fünfzehn- bis Siebzehnjährige nur über Tag und jeweils höchstens 6 Stunden arbeiten. Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus. Institutionen wie UNICEF kämpfen darum, dass Gesetzestheorie und Gesetzeswirklichkeit einander angenähert und Kinderarbeit abgeschafft oder zumindest eingegrenzt wird. Seit 1996 sind in Kolumbien drei große staatliche Initiativen (Planes Nacionales) zur Beseitigung der Kinderarbeit gestartet worden, die letzte betrifft den Zeitraum von 2008 bis 2015: Ausgehend von der Annahme, dass derzeit (2009) 393.038 Kinder und Jugendliche in der Landwirtschaft, 338.965 im informellen Sektor der Städte beschäftigt sind, soll ihre Zahl drastisch reduziert werden. Arbeiteten im Jahr 2004 noch 6,7 Prozent der kolumbianischen Kinder zwischen 10 und 17 Jahren, so sollen es 2010 nur noch 5 Prozent und im Jahr 2019 höchstens 2,5 Prozent sein.

Seit 2002 wird in Kolumbien - jeweils am 12. Juni - der "Welttag gegen Kinderarbeit" ("El día mundial contra el trabajo infantil") begangen. Staatliche Instanzen (Ministerio de Protección Social und die Procuradoría del Pueblo) bekämpfen die gefährlichsten Formen der Kinderarbeit und klären die Öffentlichkeit über deren gesundheitliche, seelische und körperliche Folgen auf. Das staatliche Institut zum Wohl der Familie (Instituto Colombiano de Bienestar Familiar) will in 25 Städten des Landes die Lage von 2000 Kindern und Jugendlichen in Bergbaugebieten verbessern, und die Fundación Telefónica hat sich zum Ziel gesetzt, 12.000 Kinder in 13 Städten des Landes einzuschulen.

Die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung von Kinderarbeit wird es sein, Mittel und Wege zu ersinnen, damit Kinder in der Schule nicht nur angemeldet werden, sondern dass sie dort auf Dauer bleiben. Die Lösung des Problems setzt die Transformation einer Kultur voraus, die dem Phänomen der Kinderarbeit gleichgültig begegnet. Erst eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität armer Familien und eine effektive Bewusstseinsbildung im Hinblick auf die Bedeutung von Erziehung und Bildung für die Zukunft der Kinder können dauerhaft Abhilfe schaffen.
 

Literatur und Links

>TRABAJO INFANTIL EN COLOMBIA NO DISMINUYE, SEGÚN DATOS OFICIALES

>EL TRABAJO INFANTIL EN COLOMBIA, POR RAQUEL BERNAL S.*

>LANZAN ESTRATEGIA CONTRA TRABAJO INFANTIL EN COLOMBIA

> EL GOBIERNO COLOMBIANO DA UN PASO MÁS CONTRA EL TRABAJO INFANTIL

>"EN TUMACO SE LES ENCUENTRA EN EL CAMPO DE LAS VENTAS CALLEJERAS"

>TRABAJO INFANTIL AFECTA A MÁS DE 2 MILLONES DE NIÑOS

>DOS MILLONES DE NIÑOS TRABAJAN EN COLOMBIA

>EL TRABAJO INFANTIL EN LAS AMÉRICAS (PPT)
 
 

Literatur

- Aura Cecilia Pedraza Avella u.a.: El trabajo infantil y juvenil en Colombia, Bogotá 2005.



Letzte Aktualisierung dieser Seite: 07.07.2015 (s. admin)